Das Carillon in Berlin-Tiergarten

Lärm, Ignoranz, Filz, Rechtsbrüche

Hier findet alles mögliche statt, aber keine Kultur - Glockenlärm gegen Anwohner und Tiergarten-Besucher




Geld, Glocken und Gemauschel - Die Kulturministerin und der KBB-Filz,
Artikel in CHEXX vom 15. April 2019

Wer sich mit den Vorgängen rund um den Glockenturm Carillon in Berlin Tiergarten beschäftigt, merkt schnell, dass um diesen Turm herum offenbar ganz besondere Gesetze gelten. Der mit zigtausenden Euro Steuergeldern finanzierte Turm, zum Leidwesen von Anwohnern von der bundeseigenen Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) GmbH nicht rechtskonform betrieben, scheint umnebelt von einer rechtsfreien Aura. Das, was mit diesem Glockenturm 1987 vielleicht einmal gut und zur kulturellen Erbauung gedacht war, hat sich ins komplette ausschließlich für Verärgerung sorgende Gegenteil verkehrt.

Dass hier alles mögliche, aber keine Kulturförderung stattfindet, zeigt sich in sämtlichen Facetten.

Da ist zum einen die fragwürdige "Förderung" des Turms mit jährlich 25.000,00 Euro und zusätzlichen 51.000,00 Euro Steuergeldern in 2017. Oder wohl eher die des seit über 30 Jahren im Carillon sitzenden sogenannten "Carilloneurs" durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und Aufsichtsratsvorsitzenden der KBB, Monika Grütters. Dafür erhält die Umgebung des Turms in maßloser Weise Beschallungen, trotz zahlreicher Beschwerden von Anwohnern, trotz eines gegen Null gehenden Interesses der Öffentlichkeit.

Laut Nachfrage bei Senat und Bezirk ist der keiner Kirche zugehörende Glockenturm entsprechend der Bau- und Betriebsbeschreibung zu nutzen, also nur für den "manuellen Betrieb des Instruments in Form von unregelmäßig stattfindenden Konzerten" mit wechselnden "Carilloneuren". Das aber geschieht nicht. Denn Lärm vom Turm von mindestens 56 bis zu 88 Tagen jährlich, stets über Stunden am Stück plus stündlichen lang anhaltenden automatischen Glockenschlägen von 8 Uhr bis 19 Uhr - plus ebenfalls automatischen minutenlangem 12- und 18-Uhr-Geläut, lassen sich kaum als "unregelmäßig stattfindende Konzerte" bezeichnen. Von dazuzurechnenden kommerziellen und laut Honorarvertrag untersagten "Privatkonzerten" des "Carilloneurs" ganz zu schweigen. Man sollte annehmen, dass sich derartige Beschallungs-Orgien von einem inzwischen an ein Wohngebiet angrenzendem Glockenturm von selbst verbieten, aber weder Betreiber KBB noch die dafür reichlich Steuergelder verschwendende Staatsministerin scheinen die Grundregeln eines harmonischen Miteinanders zu kennen.

Doch der Ärger um den Turm geht weit über eine lokale Lärmbelästigung hinaus. Es ist ein handfester politischer Skandal, in dessen Epizentrum sich die verantwortliche Kulturministerin Monika Grütters und die Geschäftsführung der KBB verfangen haben.

Dazu gehört, dass der dem Magazin CHEXX vorliegende Honorarvertrag zwischen Betreiber KBB, vertreten durch die Kaufmännische Geschäftsführerin, und dem "Carilloneur" vom 9.3.2017 für den Zeitraum vom 1.1.2017 - 31.12.2019 offenbar nur Makulatur ist. Darin steht unter §1 (5), dass der Auftragnehmer "keine Konzerte" auf eigene Rechnung organisieren und durchführen darf. Angeboten aber werden sie nach wie vor unter carillon-berlin.de/cms/privatkonzerte - einer laut Honorarvertrag §2 (4) von der KBB bezahlten Webseite, auf der weder der Betreiber des Turms noch eine Steuernummer genannt werden. Dafür aber ein Veranstalter namens "Carillonconcertsberlin", mit dem die KBB "in keinem Verhältnis" stehen will, dessen "erwirtschaftete Einnahmen" laut KBB aber "in die Budgetaufstellung" einfließen. Unter §2 (3) ist zu lesen, dass das Honorar für den "Carilloneur" nach "Rechnungstellung am Ende eines jeden Quartals" fällig wird unter "Auflistung der erfolgten Konzerte und Tätigkeiten". Nur liegen der KBB eigener Aussage nach keinerlei Auflistungen vor. Somit kann keine dem Vertrag entsprechende Abrechnung erfolgen. Weiterhin wurden laut Mail "durch die KBB" eigenem Bekunden nach dem "Carilloneur" 25.000,00 Euro in 2018 "zur Verfügung gestellt", die dieser "bewirtschaftet". Mehrfache Pressenachfragen, diese Sachverhalte zu erklären, ignorierten die KBB als auch die Aufsichtsratsvorsitzende und Hauptfinanzier der KBB, Ministerin Monika Grütters.

Solch dubioses Gebaren, so sollte man meinen, müsste die Mitglieder des Aufsichtsrats der KBB interessieren, dessen Aufgabe auch die Überwachung der Geschäftsführung der Gesellschaft ist. Doch anstatt der Bitte um eine Stellungnahme zu entsprechen, kommt von der Kaufmännischen Geschäftsführerin der KBB, Charlotte Sieben, eine Mail, in der sie "im Auftrag der Mitglieder des Aufsichtsrates der KBB" mitteilt, dass die KBB als auch die Kulturstaatsministerin sich "bereits umfangreich zu dem Thema" geäußert hätten. "Die Mitglieder des Aufsichtsrates schließen sich diesen Äußerungen an."

Wie genau man es bei der zu 100 Prozent der Bundesrepublik Deutschland gehörenden KBB, laut Selbsteinschätzung ein "hochprofessioneller Kulturbetrieb" und ebenfalls von der Kulturstaatsministerin mit reichlich Steuergeldern am Leben erhalten, mit einigen Dingen nimmt, zeigen die "umfangreichen Antworten" der KBB. So ist für die KBB die Aufstellung eines Schaukastens ebenso eine "künstlerische Leistung" wie die Durchführung eines Konzertes. Bände spricht auch die Aussage, dass die "Abrechnung der GEMA Gebühren nicht durch die KBB sondern den selbständigen Carilloneur veranlasst" werde, obwohl das Gegenteil im Honorarvertrag steht. Und diesen Äußerungen haben sich die Mitglieder dieses sogenannten "Aufsichtsrates" angeschlossen?

Die Nachfrage, ob den Aufsichtsratsmitgliedern alle Äußerungen der KBB bekannt sind und wer für neuerdings wesentlich lautere und längere Stundenschläge verantwortlich zeichnet, beantwortet die für den Betrieb des Glockenturms verantwortliche Kaufmännische Geschäftsführerin nicht, sondern schreibt, dass sie die "Beschwerden" "weitergegeben" habe.

Ebendiese Geschäftsführerin erhielt übrigens im Jahr 2012 ein Festgehalt von 71.193,15 Euro und im Jahr 2013 99.710,45 Euro, konnte also von heute auf morgen eine Gehaltssteigerung von 40,06 % verzeichnen. Im Jahr 2017 betrug das Gehalt schon 110.121,85 Euro.

Die Pressenachfrage, diese auffällige Gehaltssteigerung von über 40 % zu erklären, ignorierte Kulturstaatsministerin Grütters wie fast alle Fragen, deren Beantwortung mehr als das Absetzen erwartbarer Floskeln erfordert hätte. Dass die Koordinaten, nicht nur die der Verhältnismäßigkeit, bei der Kulturstaatsministerin und den KBB vollkommen aus dem Ruder gelaufen sind, zeigt schon, dass dieses bundeseigene Unternehmen - Berlinale hin, Berlinale her - allein 2018 umgerechnet über 26.000,00 Euro an ein anderes Mitglied der Geschäftsführung zahlte - pro Monat.

Das zeigen auch sämtliche Fakten rund um die Bundeszuwendung "ZMV I 2 - 2517KE29C" der Kulturstaatsministerin vom 23.3.2017 für ein sogenanntes "Carillon-Festival 2017" über 51.000,00 Euro, die der "Carilloneur" persönlich erhalten hat. Nun liegt der "Bericht zur Erfolgskontrolle samt Verwendungsnachweisen" für diese Geldzuwendung vor. Doch dieser Verwendungsnachweis, den das Magazin CHEXX am 25.1.2019 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien in geschwärzter Fassung erhielt, ist vom Zuwendungsempfänger weder unterschrieben noch datiert - und hat somit kaum Rechtsgültigkeit. Vom Magazin CHEXX darauf hingewiesen reichte das Ministerium mit den Worten, dass man sich auf den Hinweis hin "um Aufklärung des Vorgangs bemüht" habe, am 26.3.2019 einen datierten und unterschriebenen Verwendungsnachweis nach.

Doch nicht nur die fehlende Unterschrift und die somit fehlende Sorgfalt im Grütters-Ministerium geben Anlass zu Nachfragen. Es sind auch zahlreiche Einzelsummen, wie etwa 5.000,00 Euro für zwei "Kompositionsaufträge". Da es sich um "Aufträge" handelt, wäre es interessant zu wissen, wer Auftraggeber ist, welche Rechte an wen abgetreten wurden und ob in beiden Fällen der "Carilloneur" der Komponist ist und was zukünftig mit diesen "Auftragskompositionen" geschieht. Am 1.3.2019 antwortet die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, dass der Komponist in beiden Fällen nicht der "Carilloneur" sei und dass es sich um Kompositionen von "zwei anderen Komponisten" handelt. In der Antwort heißt es weiter: "Die Verträge wurden nach Auskunft der KBB direkt zwischen dem Carillonneur und den Komponisten geschlossen. Nach Auskunft der KBB wird bei Auftragskompositionen in der Regel nicht das Recht an dem Stück abgetreten oder verkauft sondern lediglich das Recht zur Erstaufführung des Stücks."

Nach Auskunft der KBB? In der Regel? Zuwendungsempfänger der Steuergelder für zwei "Kompositionsaufträge" ist der "Carilloneur". Persönlich. Und nicht die bundeseigene Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) GmbH. Die Nachfrage, was die KBB damit zu tun hat, beantwortete die Kulturministerin wie so viele andere Fragen nicht oder nur mit dem Hinweis: "Auch diese Belege liegen uns nicht vor", "diese Belege liegen ebenfalls nicht vor", "die Unterlagen liegen uns nicht vor", "die Schreiben liegen uns nicht vor". Auch nicht, wer die "zwei anderen Komponisten" "nach Auskunft der KBB" sein sollen - obwohl diese sämtlich öffentlich aufgetreten sein dürften und es somit keinen Grund für keine Nennung geben kann. Auf die Frage, ob im Verwendungsnachweis überhaupt etwas überprüft wurde, ging die Kulturministerin ebenfalls nicht ein. Der "Bericht zur Erfolgskontrolle samt Verwendungsnachweisen" wurde zudem vom Bundesverwaltungsamt nur "kursorisch" geprüft. Das heißt, es wurde nur flüchtig geprüft und nicht darauf, ob Rechnungen beglichen oder gegengerechnet wurden.

Da es zudem die jährlichen 25.000,00 Euro an "Förderung" gibt, muss man sich auch die weiteren Summen der "Carillonkonzerte" im Verwendungsnachweis näher ansehen. So finden sich für den 3., 4. und 5. Juni 2017, also Pfingsten 2017, für jeweils 841,75 Euro, in der Summe 6.734,00 Euro, acht "Carillonkonzerte". Dass es sogenannte stundenlange "Pfingstkonzerte" vom schwarzen Turm jedes Jahr gibt, auch ohne zusätzliche 6.734,00 Euro, verwundert nicht. Den Steuerzahler kosteten zwei "Carillonkonzerte" durch die "Erstaufführungsrechte" der zwei "Auftragskompositionen" auch nicht jeweils 841,75 Euro, sondern mindestens jeweils 3.341,75 Euro. Weitere neun "Carillonkonzerte" im Verwendungsnachweis für 5.310,00 Euro sind, immerhin das bestätigte die Kulturministerin, dem "Carilloneur" zuzurechnen.

Im Verwendungsnachweis findet sich auch eine abgerechnete Summe über 3.108,39 Euro für den mit 6.000,00 Euro im Ausgabenplan veranschlagten "Carillonschaukasten", den eine Privatperson ohne Genehmigung übrigens so schnell nirgendwo aufstellen kann. Unter "Projektsteuerung" als "Mitarbeit beim Entwurf des Schaukastens" taucht der Kasten, ebenso wie andere Punkte, für in der Summe abgerechnete, aber nicht nachvollziehbare 9.181,02 Euro sogar nochmals auf. Da eine rasche Google-Suche mit den Suchbegriffen "Schaukasten", "Pfosten" und "Außen" davon weit entfernte Summen hervorbringt, wäre es interessant, die Belege zu den 3.108,39 Euro einzusehen.

Doch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien teilt mit: "Diese Belege liegen ebenfalls nicht vor. Die KBB hat auf Nachfrage mitgeteilt, dass Sie Ihnen gegenüber bereits Auskunft über den Preis der Anschaffung und das Vergabeverfahren erteilt hat. Insofern besteht gemäß § 9 Abs. 3 IFG kein weiterer Informationsanspruch. Soweit bekannt, wurde der Schaukasten von der KBB angeschafft und auf dem Betriebsgelände der KBB in der John Foster Dulles Allee aufgestellt."

Nach Auskunft der KBB? Zuwendungsempfänger der Steuergelder für den "Carillonschaukasten" ist der "Carilloneur". Persönlich. Und nicht die bundeseigene KBB GmbH.

Tatsächlich teilte die KBB am 19.2.2018 schriftlich mit: "Die Vergabe des Schaukastens erfolgte - wie bereits ausgeführt - auf Basis der VOB. Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist bei diesem finanziellen Umfang eine freihändige Vergabe möglich. Der Schaukasten hat 1.150,00 € gekostet und wurde durch die KBB über das technische Budget beschafft."

Wieso erhielt der "Carilloneur" 6.000,00 Euro, wenn eine Beschaffung und Aufstellung dieses Kastens soviel günstiger über die KBB möglich gewesen ist? Die "kurzen Wege" zwischen KBB und Ministerium sind vorhanden, wie vorangegange Antworten zeigen. Wieso findet sich im Verwendungsnachweis eine abgerechnete und vom Grütters-Ministerium nicht beanstandete Summe über 3.108,39 Euro für diesen Schaukasten?

Die Summen mögen gemessen am Etat der Kulturministerin gering sein - sofern entsprechende Summen nicht als "Durchschnittsbürger" verdient oder als Steuer an den Staat bezahlt werden müssen. In der Gesamtschau und Abfolge der Vorgänge rund um das Carillon sind sie jedoch hochbrisant.

Denn es liegen nun zwei Summen schriftlich vor und nur eine kann richtig sein.

Die für diesen Filz verantwortliche Kulturministerin Grütters hat bewiesen, dass sie als Aufsichtsratsvorsitzende der KBB völlig ungeeignet ist. Nun kann sie zeigen, ob sie ihre Sorgfaltspflicht zumindest als Ministerin ernst nimmt, den Turm stilllegt, die skandalösen Vorgänge restlos aufklärt und personelle Konsequenzen zieht, wo sie dringend gezogen werden müssen. Ob der vorliegende Fall nur die "Spitze des Eisbergs" ist, wie eine Kennerin der Kulturpolitik meint, müssen jedoch andere beantworten.

Update

Die Differenz der zwei vorliegenden Summen von 1.150,00 Euro und 3.108,39 Euro zum "Carillonschaukasten" soll laut Grütters-Ministerium der KBB nach "Montage und Ausstattung" ausmachen. Nur beinhaltet die ebenfalls von der KBB genannte Summe von 1.150,00 Euro schon "Kauf" und "Aufstellung". Ob mit "Ausstattung" das A2-Foto des "Carilloneurs" und der A4-Zettel im Kasten gemeint sein sollen, ist unklar. Es gibt also zwei von der KBB genannte Summen für den gleichen Schaukasten, umrandet von den fragwürdigen Vorgängen rund um den durch die KBB nachweislich nicht rechtskonform betriebenen Glockenturm.

Dass eine Privatperson und nicht etwa die bundeseigene KBB, die übrigens auch die Berlinale ausrichtet, eine zusätzliche Zuwendung für ein sogenanntes "Carillon-Festival" über 51.000,00 Euro samt bewilligten Kostenpositionen wie etwa die über 6.000,00 Euro für den Schaukasten bekommen hat, ist allein schon bemerkenswert, zumal eine direkte Abwicklung über die KBB wesentlich einfacher gewesen wäre.

Dass die Rechnung über 3.108,39 Euro, wie das Grütters-Ministerium inzwischen mitteilte, von der KBB gestellt wurde, muss aufhorchen lassen. Es drängt sich die Frage auf, wer die weiteren Rechnungen an den Zuwendungsempfänger geschrieben hat. Auf diese und weitere Pressefragen erhielt CHEXX keine Antwort. Dafür aber einen Kostenbescheid von der Beauftragten für Kultur und Medien, von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die wiederum Aufsichtsratsvorsitzende der besagten bundeseigenen Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) GmbH ist.

Ein Kostenbescheid für eindeutig deklarierte "Pressefragen" stellt einen Angriff auf die Pressefreiheit dar, der nicht hingenommen werden kann. Die Klage gegen die Kulturstaatsministerin ist soeben eingereicht.


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